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  Herbert Grönemeyer, Mensch (2002).

Mensch

Aus groenemeyer.de:

"Das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch."
Johann Wolfgang von Goethe, Die Wahlverwandtschaften

Jeder Mensch ist anders - und doch gleich. Von Geburt an läuft die Sanduhr des Lebens und niemand weiß, wann für wen das letzte Sandkorn fällt. Wir sind dem Schicksal hoffnungsvoll ergeben. Wir lernen und lieben, wir suchen Sinn und streben nach Erkenntnis. Auf unserer Suche nach Antworten auf unsere stillen Fragen wenden wir uns der Religion zu, aber auch Künstlern und ihren Werken. Die Malerei und die anderen bildenden Künste, das Theater und der Film, die Literatur und die Musik sind wertvolle Spiegel zur Reflexion, sie geben Impulse, lassen das Herz bluten, spenden Trost und geben Kraft. Auch die Kunst hält keine Lösungen parat. Aber sie bietet uns immer wieder Möglichkeiten, die Welt um uns herum zu verstehen und aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Im Kunstwerk muss, so der Philosoph Walter Benjamin, das wogende Leben erstarren und wie in einem Augenblick gebannt erscheinen.

Ein Hauch von Magie weht in diesen Tagen durch Deutschland. Die Single "Mensch" hat eine Welle der Begeisterung ausgelöst. Herbert Grönemeyer rührt uns mit diesem Lied über das Wesen des Menschen. Ein Lied, das mit der wehenden Leichtigkeit eines tagträumerischen Tangos eine lichte Aura verbreitet, mit wenigen Worten unsere Natur umreißt - und uns so mitreißt. Kaum zu glauben, aber es ist die erste Single, mit der Grönemeyer in seiner Karriere - seit seiner ersten Plattenveröffentlichung im Jahr 1979 - eine Nummer eins in Deutschland erreicht hat. Das Album "Mensch" wird, da muss man kein Prophet sein, denselben Weg gehen und ein überwältigendes Publikumsecho auslösen. War "Bleibt alles anders" stark geprägt von einer postmodern kühlen Klangästhetik, hat Herbert Grönemeyer mit seinem englischen Co-Produzenten Alex Silva nun einen in Saft und Kraft stehenden Kosmos kreiert, in dem sich melodische Sinnlichkeit und melodramatische Spannungen so leuchtend entladen wie Blitze am Firmament.

Ein Jahr lang konnte Herbert Grönemeyer nur Balladen schreiben, kein fröhlicher Ton wollte seiner Feder entweichen. Zu stark war die Entwurzelung, zu schwer wog das Schicksal, das ihm Geliebtes geraubt hatte. Dieses Gefühl der inneren Leere spiegelt sich besonders in "Unbewohnt" wider. Über eine Melodie wie ein Film noir breitet sich eine bedrohliche Stimmung aus. Selten nur hat ein Künstler die innere Geographie von Depressionen so klar gezeichnet. Ein stummer Schrei, der erschüttert. Das ist die düstere Seite eines Albums, das in keinem Moment weinerlich ist, selbst wenn es mehr als einmal zu Tränen rührt. Irgendwann hat es einen Wendepunkt in der Genesis des Albums gegeben, den Grönemeyer selbst an "Kein Pokal" festmacht, einem kraftvollen Lied über die Unvereinbarkeit zweier Seelen, über den gescheiterten Versuch einer Liebe. Hier hat er die explosiven, die ekstatischen Momente eingefangen, die ihn als Rockmusiker definieren.

Das bringt uns zu "Neuland". Das Stück strahlt jene musikalische Trotzigkeit aus, die in der Tradition der wichtigsten Kapitel Berliner Rockmusik steht, wie sie von Nina Hagen, Rio Reiser oder Ideal konstituiert wurden. Und dieser mit trocken rebellischen Gitarrenriffs zündende Song, an den gleich vier Gitarristen, darunter auch Henning Rümenapp von den Guano Apes, Hand angelegt haben, ist wie ein offener Brief ans deutsche Volk. Auch 13 Jahre nach der Wiedervereinigung versprüht Grönemeyer noch immer eine Aufbruchstimmung, die durchdrungen ist von einer tiefen Sympathie für Land und Leute - weniger für den Staat. So viel anarchistisches Temperament, so viel Feuer behält sich dieser Freigeist, der sich durch nichts und niemanden vereinnahmen lässt, eben vor. Sofortiges Handeln, Spontaneität fordert auch "Viertel vor", eine Sturmfahrt auf Gitarren, eine Kampfansage an jede Lethargie. Da spürt man, dass dieses Album mitten im Leben steckt.

Das gilt ebenso für das spritzige "Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht", das wohl ausgelassenste Stück des Albums. Hier gibt der Mambo mit perkussiver Extravaganz und flotten Bläsersätzen den Ton an und Herbert lässt ein Feuerwerk geballter Pointen und Metaphern nur so um sich fliegen. Diese pure Lust an der Freude, diese Fröhlichkeit, die allen vermeintlichen Widrigkeiten entgegengesetzt wird, ist auch musikalisch von einer ansteckenden Heiterkeit. Wie dramatisch geschickt viele Stücke aufgebaut sind, lässt sich auch an "Blick zurück" ermessen. Dieser beschwörende Voodoo-Track zieht einen mit seiner magischen Basslinie und den perlenden Pianotropfen direkt in den Bann und lässt einen nicht mehr los. "Blick zurück" ist das in warmen Ölfarben gemalte Porträt des Vaters, eingerahmt in einen hybriden Delta-Blues, dessen machtvolle Geradlinigkeit auch gut und gerne ins Unendliche steuern könnte.

"Der Weg" ist eine der wohl intensivsten Pianoballaden, die Herbert Grönemeyer jemals geschrieben hat. Entwurzelung, Einsamkeit und Trauer - ein tief berührender Nachruf auf einen geliebten Menschen, eine wunderschöne Liebeserklärung und zugleich eine Elegie auf die Flüchtigkeit des irdischen Glücks. Eines dieser Lieder, bei denen die Welt für Momente stehen zu bleiben scheint, das einen wie ein Malstrom unwiderstehlich ins Innere zieht, verharren lässt, traurig macht, Tränen löst. Der große Gegenentwurf zu diesem Seelendrama ist das zuversichtliche "Zum Meer". Ein monumentaler Song mit einem stoischen Rhythmus und ins Jubilierende aufschwingenden Streichern, die mit symphonischer Wucht von Nick Ingman arrangiert wurden. Hier werden die nach Erkenntnis strebenden Fragen gestellt, woher wir kommen, wohin wir gehen. So visionär, so kraftvoll, so befreit, ein Lied, das den Himmel auf Erden am Meer findet, ein großes Stück Erlösungspoesie.

Das eigentliche Finale hat aber noch ein Nachspiel: "Demo" heißt der Track, der hier auf einem seichten Gospelbett in sprichwörtlich letzter Minute aufgenommen wurde. Aufgekratzt klingt der Gesang, ein Rohdiamant, der ins Ungewisse der Zukunft zu funkeln scheint.

"Mensch" ist ein Album, das wie ein Monolith im Gesamtwerk aufragt, ohne dass es die Größe von "Bochum" oder "Bleibt alles anders" schmälern wird. Vielen Menschen wird es als das privateste, persönlichste Album von Herbert Grönemeyer erscheinen, aber es ist auch dasjenige, in dem die humanistischen Überzeugungen des Künstlers am deutlichsten zutage treten. "Es ist ein Werk von so zarter und unerbittlicher Kenntnis des Menschenherzens, so ausgeglichen in Güte und Strenge, Klarheit und Geheimnis, Klugheit und Ergriffenheit, Form und Gefühl, dass wir es nur mit Staunen das unsere nennen." Diese Worte fand Thomas Mann für Goethes Roman "Die Wahlverwandtschaften" und sie lassen sich unverändert auf Grönemeyers Album anwenden. "Mensch" wird seinen Weg antreten in die Herzen von Millionen. Es wird Momente geben, in denen wir so empfindlich sind, dass wir nach dem Genuss des Albums völlig aufgelöst und weichgekocht sind, aber es wird uns auch immer wieder Mut machen und Kraft und Hoffnung geben. "Mensch" ist der beste Beweis, dass man sich in ein Kunstwerk verlieben kann.

August 2002





Herbert Grönemeyer: Mensch

momentan ist richtig,
momentan ist gut
nichts ist wirklich wichtig
nach der ebbe kommt die flut

am strand des lebens
ohne grund, ohne verstand
ist nichts vergebens
ich bau die träume auf den sand

und es ist, es ist ok
alles auf dem weg,
und es ist sonnenzeit
unbeschwert und frei

und der mensch heißt mensch
weil er vergisst,
weil er verdrängt
und weil er schwärmt und stählt
weil er wärmt, wenn er erzählt

und weil er lacht,
weil er lebt
du fehlst...

das firmament hat geöffnet,
wolkenlos und ozeanblau
telefon, gas, elektrik
unbezahlt, und das geht auch

teil mit mir deinen frieden,
wenn auch nur geborgt
ich will nicht deine liebe,
ich will nur dein wort

und es ist, es ist ok
alles auf dem weg
und es ist sonnenzeit
ungetrübt und leicht

und der mensch heißt mensch
weil er irrt und weil er kämpft
und weil er hofft und liebt,
weil er mitfühlt und vergibt

und weil er lacht
und weil er lebt
du fehlst...

oh, weil er lacht,
weil er lebt
du fehlst...

es ist, es ist ok
alles auf dem weg
und es ist sonnenzeit
ungetrübt und leicht

und der mensch heißt mensch
weil er vergisst,
weil er verdrängt

und weil er schwärmt und glaubt,
sich anlehnt und vertraut

und weil er lacht
und weil er lebt
du fehlst...

oh, es ist schon ok
es tut gleichmäßig weh
es ist sonnenzeit
ohne plan, ohne geleit

und der mensch heißt mensch
weil er erinnert, weil er kämpft
und weil er hofft und liebt
weil er mitfühlt und vergibt

und weil er lacht,
und weil er lebt,
du fehlst...

oh, weil er lacht,
weil er lebt,
du fehlst...

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Verwandte Seite:

http://www.groenemeyer.de/
(Offizielle Homepage)

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Friday, May 6, 2005 9:55