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Informationen zum Schwarzfahrer von Inter Nationes Eine alte Straßenbahn; ein Rentner, Hausfrauen, ein paar alberne Türkenjungen, ein paar kichernde pubertäre Mädchen und noch weitere Fahrgäste. Und auch eine gar nicht so liebe alte Dame, die ihren Nachbarn, einen jungen Farbigen mit provozierenden Sprüchen drangsaliert. Von "Hottentotten" ist da die Rede, die "penetrant" riechen und alle Aids haben. Und schließlich das übliche Fazit: "Das wäre früher nicht passiert". Die Fahrgäste schweigen, schauen, natürlich ganz zufällig, woanders hin, ins Leere oder lächeln zustimmend. Und auch der Schwarze schweigt, bis ein Kontrolleur ... da schlägt für den Farbigen seine Stunde der Wahrheit und seine Sekunde der Rache: Blitzschnell greift er zu, schnappt seiner Nachbarin den bereitgehaltenen Fahrschein aus der Hand und läßt ihn in seinem Mund verschwinden, selbst durch das Vorzeigen seiner Monatskarte als braver Fahrgast legitimiert. Die alte Dame aber ist zur Schwarzfahrerin geworden, und dem Kontrolleur bleibt nur noch das große Kopfschütteln über eine besonders dumme und dreiste Ausrede auf seine Frage nach dem Fahrschein: "Der Neger hier hat ihn eben aufgefressen!" SCHWARZFAHRER ist innerhalb der aktuellen deutschen Kinolandschaft eine Rarität - nämlich eine rundum geglückte Komödie, die 1994 sogar als bester Kurzfilm mit einem "Oscar" der "American Academy of Motion Picture Arts and Sciences" ausgezeichnet wurde und inzwischen in den Vorprogrammen deutscher Filmtheater Kultstatus erreicht hat. Regisseur Pepe Danquart, hervorgegangen aus der "Freiburger Medienwerkstatt", die sich vor allem mit engagierten Dokumentarfilmen einen Namen gemacht hat, verdankt diesen Erfolg ebenso der satirischen Grundidee, die als Anekdote schon vor Drehbeginn verbreitet war, als auch seiner erzählerischen Disziplin: SCHWARZFAHRER folgt einer gerade klassischen Kurzfilm-Dramaturgie. In einer großen Totale blickt die Kamera auf Berlin; Trommelklänge liegen über der Stadt und verweisen auf die kommende Geschichte. Wortlos stellt der Film einige seiner Protagonisten vor: den unglücklichen Motorradfahrer, dessen Gefährt nicht anspringen will; das Kind, das von seiner Mutter geschimpft wird, weil es den Verlockungen einer Pfütze nicht widersteht; zwei türkische Jugendliche, die mit zwei Mädchen flirten; schließlich den Farbigen, der mit einem langhaarigen Blonden an einer Haltestelle steht und zu Klängen aus einem Kofferradio auf die Straßenbahn wartet. Schon am Morgen reagieren die Erwachsenen mürrisch und gestresst. In schnellen, doch niemals hektischen Bildern und mit einer sehr rhythmischen Montage führt der Film den Zuschauer auf die anekdotische Zuspitzung der Situation hin und bleibt dabei unabhängig von jeglichen verbalen Erklärungen. Obwohl der Dialog - der vor allem aus einem Monolog der älteren Frau in der Straßenbahn besteht - durchaus seine Bedeutung hat, wäre SCHWARZFAHRER selbst als Stummfilm noch verständlich. Die erkennbare satirische Verdichtung rechtfertigt die Klischees des Films und demaskiert sie: Das beginnt bei der pauschalen Kategorisierung von Alt und Jung; es sind die älteren Menschen, die hier der Intoleranz bezichtigt werden, während die Jugendlichen die schimpfende Frau einfach ignorieren und der kleine Junge ihrem Opfer als einziger zulächelt. Daß die Realität anders aussieht und rassistische Positionen keine Frage von Generationen sind, ist kein Einwand gegen die satirische Methode. Der endlose, bösartige Monolog der älteren Frau gibt einen gerade anthologischen Überblick über die scheinbaren "Argumente" des alltäglichen Rassismus, von der Sorge um die Steuergelder und dem Vorwurf der Arbeitsscheu bis hin zu der infamen Behauptung "Kein Wunder, daß die alle AIDS haben." Gleichzeitig führt SCHWARZFAHRER den Mikrokosmos einer schweigenden Mehrheit vor, die das Geschehen einfach ignoriert; nur ein älterer Mann nickt der ununterbrochen auf ihren farbigen Nachbarn schimpfenden Frau einmal beistimmend zu, worauf diese triumphierend ihre verbalen Attacken auf den Farbigen steigert: "Im übrigen riechen sie penetrant!" So wird am Ende die (übrigens hinreißend gespielte!) Attacke auf den Fahrschein zum erleichternden Akt der Gegenwehr, der indirekt sogar noch den alltäglichen Rassismus persifliert. Entsprechend reagiert die vom Kontrolleur nach draußen geleitete Frau: "Die fressen unsere Fahrscheine!" Lernfähig wird sie freilich auch nach dieser Lektion nicht sein; die Zuschauer im Kino aber hat sie unwiderruflich gegen sich.
Rassismus in der Sprache? Assoziationen und Wortbildungen mit “schwarz”: Täter, Opfer, Mitläufer: Wer ist wer?
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